Visages villages
Agnès Varda, JR, France, 2017o
Agnès Varda et JR ont des points communs : passion et questionnement sur les images en général et plus précisément sur les lieux et pour les montrer, les partager, les exposer. Agnès a choisi le cinéma. JR a choisi de créer des galeries de photographies en plein air. Quand Agnès et JR se sont rencontrés en 2015, ils ont aussitôt eu envie de travailler ensemble, tourner un film en France, loin des villes, en voyage avec le camion photographique (et magique) de JR. Hasard des rencontres ou projets préparés, ils sont allés vers les autres, les ont écoutés, photographiés et parfois affichés. Le film raconte aussi l’histoire de leur amitié qui a grandi au cours du tournage, entre surprises et taquineries, en riant de leurs différences.
Avec tendresse et légèreté, Agnès Varda et JR explorent les territoires de la mémoire dans un superbe documentaire mâtiné de road-trip. Belle échappée sensitive, rieuse, où l’humour baroudeur du duo fait converger jeunesse et vieillesse avec spleen et passion.
Alexandre JourdainVisages villages nous provient d’une cinéaste en pleine forme, nous invitant à suivre le fil toujours surprenant de sa pensée, de voir par ses yeux. Ce plaisir-là ne s’épuisera jamais.
Nicholas Elliott«Visages villages» ist vieles auf einmal: ein Panorama des gegenwärtigen Frankreich abseits der Grossstädte; ein filmischer Essay über die Porträtfotografie zwischen Branding und Selbstermächtigung; und natürlich die Begegnung zweier aussergewöhnlicher Künstler, die sich zwischen den Aktionen einen amüsanten, ironisch-liebevollen Schlagabtausch liefern. Kurz und gut: Ein Glücksfall fürs Kino.
Lukas FoersterZu ihrem 90. Geburtstag gönnt sich Agnès Varda einen Film mit dem Streetart-Künstler JR. Die Welt ist ihr Spielplatz: Sie fahren durch Frankreich, porträtieren Leute und plakatieren mit ihren Bildern die Wände. Spontane Assoziationen, Spleens und intime Erinnerungen bestimmen die Reise. Inmitten der Wandbilder ist Varda natürlich die eigentliche Ikone. Was nicht unnarzisstisch ist, aber berührend.
Philipp StadelmaierGalerie photoso
Für den Dokumentarfilm «Visages Villages» machen die 90-jährige Regielegende Agnès Varda und der Street-Art-Künstler JR die französische Provinz unsicher.
Was passiert, wenn Menschen ihrem eigenen Bild begegnen? Eine banale Frage, könnte man meinen, denn natürlich passiert das tagtäglich. Allerdings sind die Bilder, die wir von uns sehen, für gewöhnlich klein, und sie flackern über private Bildschirme. In «Visages villages» dagegen sind sie riesenhaft und ausserdem Teil der Alltagswelt, des öffentlichen Raums.
Der Künstler JR ist bekannt geworden mit seinen grossflächigen Fotoinstallationen: Aufnahmen von Menschen, oder auch nur einzelnen Körperteilen, die er um ein Vielfaches vergrössert auf Hauswände, Eisenbahnwaggons oder Ähnliches tapeziert. Nun bereist er die französische Provinz mit Agnès Varda, der legendären Regisseurin von Nouvelle-Vague-Klassikern wie «Cléo de 5 à 7» (1962) oder «Le bonheur» (1965). Gemeinsam realisieren sie eine Reihe von Kunstprojekten.
Varda und JR treffen, unter anderem, auf einen Bauern, der allein und glücklich seine Felder bewirtschaftet, auf drei stolze Frauen von Hafenarbeitern, auf die Belegschaft einer Fabrik. Es geht dabei immer um zwei Dinge gleichzeitig: die Menschen kennen zu lernen und Bilder von ihnen anzufertigen. Wichtig ist ausserdem, dass die Fotografierten nicht zum blossen Objekt degradiert werden. Sie haben einerseits selbst Anteil an der Kunstproduktion, sie kontrollieren ihre eigene Inszenierung. Und andererseits sind sie, wenn das Kunstwerk fertiggestellt ist, dessen erstes Publikum. Besonders toll ist die Szene, in der die Frauen der Hafenarbeiter auf ihre Ebenbilder blicken - zusammengesetzt aus Dutzenden von Frachtcontainern, hochaufragend, monumental und ehrfurchtgebietend wie antike Götterstatuen.
«Visages villages» ist vieles auf einmal: ein liebevolles Panorama der französischen Gegenwart abseits der Grossstädte; ein filmischer Essay über die ambivalente Funktion des Porträtbilds zwischen Branding und Selbstermächtigung; und nicht zuletzt das Dokument einer Begegnung zweier origineller Künstler, die sich zwischen und während der Fotoaktionen einen amüsanten Schlagabtausch liefern,in dessen Verlauf Varda, die am 30. Mai 90 Jahre alt wurde, ihre einmalige Karriere Revue passieren lässt. Kurz und gut: ein Glücksfall für das Kino – und die perfekte Ergänzung zur VardaRetrospektive, die noch bis Ende Juni im Filmpodium zu sehen ist.
Die französische Filmregisseurin Agnès Varda nutzte die Freiheiten der Aussenseiterin. Nun ist sie mit 90 Jahren gestorben.
«Meine Arbeiten haben viel weniger Zuschauer als die Filme, die hier üblicherweise ausgezeichnet werden», sagte Agnès Varda, als ihr 2001 der César für ihr Lebenswerk verliehen wurde. Mit dem Überlebensstolz der altgedienten Avantgardistin fügte sie hinzu: «Aber es gibt sie doch.»
Agnès Varda führte im Kino ein vergnügtes und gar nicht trotziges Nischendasein. Ihre Filme fanden ein treues Publikum, das im Lauf der Jahre nicht kleiner wurde. Sie war sich des Platzes bewusst, den sie im Filmgeschäft einnahm (und insgeheim vielleicht auch ihres Rangs in der Filmgeschichte). Ihre Aussenseiterposition erlaubte es ihr, sich Freiheiten zu nehmen und dadurch eine ungekannte Nähe zum Publikum zu gewinnen. «Manchmal hinterlassen Zuschauer», bemerkte sie einmal stolz, «ihre Briefe direkt in meinen Kasten in Paris.»
Ihrer Schaulust und Neugierde mochte die 1928 in Brüssel geborene Regisseurin nie Grenzen setzen. Als Fotografin hatte sie nach dem Krieg angefangen und die Auftritte Gérard Philipes, Jeanne Moreaus und Philippe Noirets im Théâtre Nationale Populaire von Jean Vilar festgehalten. Ihre Filme verraten zwar einen nachdrücklich weiblichen Blick – «L’une chante, l’autre pas» von 1977 zeigt ihr brennendes Interesse an unterschiedlichen Frauenbiografien –, aber als Galionsfigur des Feminismus liess sie sich nie vereinnahmen; allzu hingebungsvoll erkundet sie Entwürfe familiären Glücks.
Dank ihres Regiedebüts «La pointe courte» (1954) gilt sie als Wegbereiterin der Nouvelle Vague, gehörte aber nie ganz zum Kreis um Godard, Rohmer und Truffaut. «Anders als meine Kollegen von der Nouvelle Vague bin ich nicht vom Kino beeinflusst, sondern von der Malerei und den anderen Künsten», betonte sie. «Bei meinem ersten Film habe ich vor allem an William Faulkner gedacht.» Varda stand der Schule der Rive gauche näher, dem Zirkel von Chris Marker, Alain Resnais und ihrem Mann Jacques Demy.
Es hat eine schöne Triftigkeit, dass die Eheleute in jene Strasse in Montparnasse zogen, die nach dem Erfinder der Fotografie benannt ist: die Rue Daguerre, von der es in ihrer Dokumentation von 1976, «Daguérrotypes», heisst, hier rieche das Pflaster noch nach Provinz. Das Paar verband ein Gleichklang der Vorlieben; seine Filme ergänzen sich als Kommentar und Widerspruch. Mit ihrer pastoralen Dreiecksidylle «Le bonheur» setzte sich Varda 1964 beherzt dem gleichen Kitschvorwurf aus, der ein Jahr zuvor Demys «Les parapluies de Cherbourg» traf.
Sie wollte überrascht werden
Vardas Werk besitzt indes eine grössere Formenvielfalt. In Spielfilmen, Dokumentationen und anspielungsreichen Essayfilmen betrieb sie Feldforschung in einer zeichenhaften Welt. In «Les glaneurs et la glaneuse» (2000) barg sie aus den Überresten der Konsumgesellschaft Schätze, die kein anderer entdeckt hätte. Vardas Schaulust war zielgerichtet. Aber sie erwartete nicht, etwas bestätigt zu finden, sondern überrascht zu werden. Als Spurensucherin an den Randzonen der bürgerlichen Gesellschaft zeigte sie sich schon 1985 in «Sans toit ni loi», wo sie die letzten Wochen einer Obdachlosen (Sandrine Bonnaire) rekonstruiert.
Einer ihrer schönsten Filme ist der kurze Trailer, den sie 2004 für die Viennale drehte. Darin montiert sie Bilder von Salz- und Weizenfeldern zu einem prekären Refugium der Verbundenheit mit der Natur und den eigenen Wurzeln. Wie tief die Resonanz ist, die sie zwischen den Orten und der Seelenlage ihrer Figuren herstellt, zeigen schon ihr Kurzfilm «L’ Opéra-Mouffe» (1958), wo sie den Markt in der Rue Mouffetard mit dem empfindsamen Blick einer Schwangeren betrachtet, und erst recht «Cléo de 5 à 7» (1961), der in Realzeit das bange Flanieren einer Sängerin protokolliert, die auf das Ergebnis einer Krebsuntersuchung wartet.
Ihr Projekt einer dokumentarischen wie fiktionalen Besitznahme der Welt kulminierte 2008 in «Les plages d’Agnès». Das Erzählprinzip knüpfte direkt an «Les glaneurs et la glaneuse» an – Strände sind schliesslich Orte, an denen wundersame Dinge angeschwemmt oder zurückgelassen werden. Die Wiederbesichtigung von Drehorten war ihrem Publikum vertraut aus den drei Filmen, die sie über ihren verstorbenen Mann drehte, sowie dem Bonusmaterial ihrer DVD-Editionen: als Frage, was die Arbeit an einem Film den Mitwirkenden und Zaungästen bedeutet. Oder genauer: als Versuch, sich das gemeinsam erlebte Glück zu vergegenwärtigen.
«Les plages d’Agnès» schillert zwischen den Genres. Souverän verfügte sie über sämtliche Stilmittel, die ihr zu Gebote standen, montierte Fotos, Filmausschnitte, Archivmaterial und Tableaux vivants. Die Worte und Bilder durften bei ihr stets ein inniges, vieldeutiges und rätselhaftes Bündnis eingehen.
Zwar zog der Film eine Summe ihres bisherigen Werks. Zugleich zeugte er vom Elan des Aufbruchs. Varda profitierte von den neuen Ausdrucksmöglichkeiten, die ihr das Fernsehen und die Digitalisierung boten. Im Auftrag der Modefirma Miu Miu realisierte sie 2015 den magischen Kurzfilm «Les 3 boutons», im Frühjahr 2016 drehte sie mit dem jungen Fotografen JR, dem Star unter den französischen Street-Art-Künstlern, «Visages villages», wo sie Menschen porträtieren, die ihnen auf den Strassen Frankreichs begegneten. Dieses Jahr zeigte sie ausser Konkurrenz an der Berlinale ihren letzten Film: «Varda par Agnès», ein Selbstporträt, in dem sie auf einer Theaterbühne Platz nimmt und so witzig und persönlich wie immer über ihre Filme redet.