Jelmoli – Biografie eines Warenhauses
Sabine Gisiger, Suisse, 2024o
In Zürich läutet Franz Anton Jelmoli 1899 die Zeit der Warenhäuser mit dem Bau des damals spektakulären Glaspalastes an der Bahnhofstrasse ein. Aus biographischen Elementen der Gründerfamilie, der Hauptaktionäre und zahlreicher Mitarbeiter:innen geht eine Biografie des demnächst schliessenden Hauses hervor, in der sich auch grosse Themen des 20. Jahrhunderts wie die Urbanisierung, die Emanzipation der Frauen und die Globalisierung spiegeln.
Demnächst schliesst in Zürich die seinerzeit erste und nunmehr letzte Filiale der Schweizer Warenhauskette Jelmoli nach 125 Jahren ihre Pforten. Kaum zu fassen, dass das Unternehmen auf dem Gipfel seines Erfolgs 5200 Angestellte, 230 Standorte und 40'000 Besucher:innen pro Tag zählte; spannend, zu erfahren, wie es im Lauf seiner Geschichte unter jeweils bezeichnenden historischen Vorzeichen von italienischen in jüdische, kolonialistische und mulinationale Hände wechselte und welche Rolle dabei Schweizer Banken spielten. Am Beispiel des Flaggschiffs an der Bahnhofstrasse rollt die Dokumentaristin Sabine Gisiger mit Interviews und reichem Archivmaterial zudem auf, wie Jelmoli in Zürich mit seiner Expansion, seinen aufwändigen Schaufenstern, Themenwochen und Ausverkäufen das Lebensgefühl des anbrechenden Konsumzeitalters mitprägte, mit seinem Katalog und Versandhandel in jedem vierten Schweizer Haushalt präsent war und mit ständig neuen Abteilungen oder Events lange auf der Höhe der Zeit blieb, um sich unter wachsendem wirtschaftlichem Druck schliesslich vom Warenhaus zum Lifestyle Store zu wandeln. Verspricht der Film zu viel, wenn er an der «Biografie» von Jelmoli auch grosse historische Strömungen vom Kolonialismus über die Frauenbefreiung bis zur Globalisierung abzulesen behauptet? Keineswegs, auch hierzu hat die Regisseurin mit ihrem Recherche- und Montagteam bestechendes Material in kompakter Form zusammengetragen. Um die grosse Zeitspanne und Fülle zu meistern, arbeitet sie dabei meist mit einer Erzählstimme, für Vertreter:innen der reinen Dok-Lehre wegen angeblicher Didaktik ein No-Go. Seis drum, die 75 Filmminuten vergehen im Flug, man würde am liebsten noch länger verweilen an diesem Jahrhundert-Wühltisch.
Andreas Furler